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Ein Mann für viele Fälle

Hans-Joachim Brauns ist Richter, Stadtrat – und für ein paar Wochen im Jahr der Chef der Bundeswehr im Freistaat.

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© Christian Juppe

Von Anna Hoben

Nicht zur Bundeswehr zu gehen, das stand für ihn überhaupt nicht zur Debatte. Ein Volk, das sich verteidigen will, braucht Streitkräfte, fand Hans-Joachim Brauns und meldete sich als Soldat auf Zeit für zwei Jahre. 1978 war das. „Mir hat es bei der Bundeswehr gefallen“, sagt er, also blieb er dabei. Als Reservist hat er sich über die Jahre hochgedient, bis zum Kommandeur des Landeskommandos Sachsen.

Der Politiker: Seit 1980 ist er Mitglied der CDU, seit 15 Jahren sitzt er im Stadtrat.
Der Politiker: Seit 1980 ist er Mitglied der CDU, seit 15 Jahren sitzt er im Stadtrat. © Christian Juppe
Der Soldat: Als Reserve-Oberst vertritt Brauns die Bundeswehr in Sachsen.
Der Soldat: Als Reserve-Oberst vertritt Brauns die Bundeswehr in Sachsen. © Christian Juppe

Eigentlich wollte er eine klassische militärische Laufbahn einschlagen. Doch aus dem Traum, Kampfjets zu lenken, wurde nichts; er brauchte schon damals eine Brille. Also studierte er Jura in Würzburg und promovierte zum Thema „Wiedervereinigung und europäische Integration“. Währenddessen blieb er Reservist, wurde immer wieder zu Lehrgängen und Übungen einberufen. Im Jahr 1991 kam er als Richter nach Dresden, am Landgericht bearbeitet er heute zivilrechtliche Fälle. Doch für ein paar Wochen im Jahr tauscht er Robe gegen Uniform. Dann ist er der oberste Vertreter der Bundeswehr in Sachsen.

Vor Kurzem hat der 56-Jährige wieder für zwei Wochen sein Zweitbüro in der Graf-Stauffenberg-Kaserne in der Albertstadt bezogen. Dort sitzt das Landeskommando Sachsen. Im Fall einer Naturkatastrophe oder eines schweren Unglücks ist das Landeskommando – und also Brauns als dessen Chef auf Zeit – der erste Ansprechpartner der Staatsregierung.

Brauns nimmt das rote Barett vom Kopf und setzt sich an einen Besprechungstisch. An der Wand ein Foto von Graf von Stauffenberg, überm Schrank diverse Wappen von Wirkungsstätten des Kommandeurs, die Aufschriften für Normalbürger nicht zu entziffern. Ob er sich gut zurechtfinde in der militärischen Abkürzungssprache? „Auf Bundeswehr-Ebene habe ich sie drauf, auf Nato-Ebene wird’s schwierig.“

Richter und Stadtrat, damit hat man ja gut zu tun. Warum also auch noch Reservist? „Streitkräfte brauchen eine Reserve“, sagt Brauns trocken. Gesellschaftliches Engagement fand er immer schon wichtig, das war einst auch der Grund für ihn, sich politisch einzubringen. Als Student war er Mitglied im Ring Christlich-Demokratischer Studenten, 1980 trat er in die CDU ein. Seit 15 Jahren sitzt er im Stadtrat, mit Unterbrechungen. Dort haben sie ihm mal den Spitznamen „Beton-Brauns“ verpasst. Zum einen, weil er lange Zeit Fraktionssprecher für Stadtentwicklung und Bau gewesen ist. Zum anderen, weil er den Ruf eines Sturkopfes hat, der sein Ding durchzieht, ohne zur Seite zu schauen.

Wenn er von seiner Rolle als Reservist erzählt, fällt immer wieder das Wort „Hobby“. Wirklich, ein Hobby? „Das ist ein bisschen flapsig ausgedrückt, aber es geht schon darum, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.“ Was ihm an der Bundeswehr gefällt: Genauigkeit, Schnelligkeit, Effizienz. „Wir kommen ja nur dann ins Spiel, wenn die zivilen Behörden nicht mehr weiterkommen.“ Etwa, wenn es um die Unterstützung in der Flüchtlingsthematik geht. Amtshilfe nennt sich das. „Wir sind nicht die Ersten, sondern die Letzten, die gefragt werden. Aber wir sind schnell und effizient.“ In Chemnitz etwa hat die Bundeswehr gerade einen Einsatz beendet: Hilfeleistung bei der Aufarbeitung von Asylbewerber-Akten. „Manche haben große Augen gemacht, was die Soldaten da geleistet haben.“

Brauns’ jährliche Übungszeiten sind auf die Urlaubszeiten des Kommandeurs abgestimmt. Für seine Reservistentätigkeit wird er vom Staat freigestellt. Bevor er seinen Dienst bei den Streitkräften antritt, räumt er seinen Erstschreibtisch im Gericht auf. „Damit er wieder volllaufen kann.“ Immerhin ist bei der Bundeswehr gerade nicht so viel los. Anders als vergangenen Sommer. „Ich dachte, jetzt kommt die Saure-Gurken-Zeit.“ Wer und was stattdessen kam: sehr viele Flüchtlinge und mit der Frage nach deren Unterbringung neue Aufgaben auch für die Soldaten.

Im Gericht guckt schon lange keiner mehr komisch, wenn der Richter von Zeit zu Zeit in Uniform aufkreuzt. Zum Beispiel, wenn er gerade vom Beförderungsappell kommt. Wachleute machen Komplimente. Kollegen, die gedient haben, stehen spaßeshalber stramm. „Nur positive Reaktionen“, sagt Brauns. Für ihn selbst ist die Uniform einfach „der sichtbare Ausdruck der Kameradschaft auf Leben und Tod“. Ob die Uniform das Auftreten verändere? „Ein bisschen schon, aber wenn man eine aufgesetzte Rolle spielen will, geht das schief. Ich bin damit kein anderer Mensch.“

Kein anderer Mensch als der Stadtrat Brauns zum Beispiel. Könnte das Gremium eigentlich etwas von der Bundeswehr lernen? Die Antwort kommt wie aus einem funktionierenden G36-Sturmgewehr geschossen: „Gar nichts. Bei der Bundeswehr geht es darum, dass einer entscheidet, möglichst schnell. Ob es falsch war oder richtig, zeigt sich später. Der Stadtrat lebt davon, dass diskutiert und gestritten wird. Demokratie ist oft zum Haareraufen, aber sie ist das Beste, was wir haben.“

Mit dem Streiten hat er Erfahrung, legendär ist eine Beleidigung gegenüber einem Linken-Stadtrat, die ihm fünf Jahre später noch peinlich ist und auf die er im Interview selber zu sprechen kommt, als es um den Fall des Satirikers Böhmermann und dessen Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten geht. „Ich teile Erdogans politische Ansichten in keiner Weise“, sagt Brauns. Aber sobald es um Ehrabschneidung geht, hört für ihn die Freiheit auf. Deshalb tut ihm seine Entgleisung im Stadtrat auch heute noch so leid.

Später am Tag will er noch beim Landgericht vorbeifahren, sein Fach quillt schon wieder über. Hat der Mann eigentlich auch Freizeit, und beschwert sich seine Frau gar nicht? Früher habe sie das, ja. Inzwischen hat die Gymnasiallehrerin selber einen zweiten Job, gibt Schulbücher heraus. Brauns grinst. „Sie hat sich gerächt.“